Was in Deutschland erst ins Rollen kommt, gehört in Estland schon lange zum Alltag: Die digitale Identität. Diese ermöglicht es den Esten, das Wählen, die Steuererklärung oder eine Firmengründung ganz einfach online zu erledigen. Denn in Estland wurden in den letzten 20 Jahren sämtliche Bereiche des täglichen Lebens digitalisiert. Daher auch der Name: e-Estonia. Wir werfen einen Blick auf die am weitesten entwickelte digitale Gesellschaft der Welt und auf die Infrastrukturen, die ihr zugrunde liegen.

Es beginnt mit der digitalen Identität

Mit der e-identity legte Estland bereits 2002 den Grundstein für den Ausbau digitaler Services. Denn um online wählen oder die eigene Patientenakte aufrufen zu können, müssen Personen zunächst natürlich eindeutig identifiziert werden. Hierfür besitzt jeder Este eine 11-stellige Personennummer. Neben dem physischen Personalausweis mit Online-Funktion über einen Kartenleser besteht auch die Möglichkeit, eine mobile-ID zu nutzen. Diese ist an die SIM-Karte des Telefons geknüpft. Außerdem gibt es seit 2017 die App-Lösung Smart-ID.

Dank der digitalen Identitäten gehören Behördengänge in Estland der Vergangenheit an – 99% aller Services werden online angeboten. Über das Portal eesti.ee können Bürger beispielsweise ihren Wohnsitz ändern oder ein Nummernschild anmelden. Auch Unterschriften auf Papier werden kaum noch benötigt. So kann zum Beispiel ein Mietvertrag per PIN-Eingabe einfach online unterzeichnet werden. Dank der e-identity benötigen die Esten keine Dokumente wie Führerschein oder Krankenversicherungs-Karte. Denn diese Informationen sind direkt mit der Personennummer und damit mit dem elektronischen Ausweis verknüpft. Das Gleiche gilt in vielen Fällen für Kundenkarten von Unternehmen.

Digitales Gesundheitswesen

Estland begann Anfang der 2000er Jahre, alle Krankenakten zu digitalisieren. Über ein Online-Portal erhalten Patienten, aber auch Ärzte oder Rettungssanitäter hierauf Zugriff. Dies vereinfacht sowohl den Wechsel zu einem neuen Arzt als auch die richtige Behandlung im Notfall. Der Patient behält jedoch hierbei die volle Kontrolle über seine Daten. Möchte er einzelne Informationen nicht teilen, kann er diese unzugänglich machen. Außerdem kann er im Logbuch einsehen, wer bereits Zugriff auf seine Krankenakte hatte.

Das E-Rezept wird in Deutschland 2022 eingeführt – in Estland gibt es dieses allerdings schon seit 2010. Die Esten nutzen einfach eine der drei Ausweismöglichkeiten, um verschreibungspflichtige Medikamente in der Apotheke abzuholen. In einem Online-Portal finden sie dann zusätzliche Informationen, zum Beispiel dazu, wie oft Tabletten eingenommen werden müssen. Weiterhin werden Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen direkt vom Arzt an den Arbeitgeber übermittelt. Darüber hinaus können Epidemien mithilfe der verfügbaren Krankheitsdaten frühzeitig erkannt werden.

Digitales Bildungswesen

In der PISA-Studie 2018 erreichte Estland den ersten Platz unter den europäischen Staaten. Bildung und Digitalisierung stehen hier in einem engen Verhältnis. Auf der einen Seite wird im Bildungswesen viel Wert auf die Vermittlung digitaler Kompetenzen gelegt. So erwerben Kinder bereits in der Grundschule erste Programmier- und IT-Kenntnisse. Später entscheidet sich im Schnitt jeder zehnte Studierende für ein IT-Studium.

Auf der anderen Seite ist auch das Bildungssystem selbst digital und wird über verschiedene Plattformen verwaltet. Eine davon ermöglicht es Eltern, die Noten ihres Kindes einzusehen oder dessen Krankheit zu bestätigen. Auch Lehrmaterial wird zunehmend online zur Verfügung gestellt.

Wo digitale Services sonst noch zum Einsatz kommen

Estland war der weltweit erste Staat, der den Test von autonomen Fahrzeugen auf öffentlichen Straßen erlaubt hat. Seither wurden dort zwei autonome Buslinien etabliert. Außerdem sind Essens- und Paketlieferungen durch autonome Roboter möglich, die sich auf den Gehwegen fortbewegen.

Eine weitere Besonderheit Estlands ist die E-Residency. Hierdurch kann jeder ein Unternehmen in Estland gründen, ohne selbst dort zu leben. Das funktioniert dank der Vielzahl an E-Services, die Anträge vor Ort oder analoge Unterschriften überflüssig machen.

Technische Infrastruktur, Sicherheit und Datenschutz

Digitale Identitäten erfordern natürlich besonderen Schutz. Um diesen zu gewährleisten, basieren Estlands E-Identitäten auf einem Public-Key-Infrastruktursystem (PKI). Der öffentliche Schlüssel kann von jedem genutzt werden, um eine Person zu identifizieren, und wird über das PKI validiert. Auf der Ausweis-Karte ist außerdem ein privater Schlüssel gespeichert, der mithilfe von zwei PINs geschützt wird. Mit der ersten PIN können Bürger ihre Identität bestätigen – so wird verhindert, dass jemand einen verloren gegangenen Personalausweis findet und damit auf die E-Services einer anderen Person Zugriff erhält. Mit der zweiten PIN kann eine digitale, rechtskräftige Unterschrift geleistet werden.

Um die Datenmengen durch digitale Services zu beschränken und den Bürgern den Alltag zu erleichtern, müssen Informationen nur ein einziges Mal an eine einzige Behörde übermittelt werden. Diese übernimmt auch die Speicherung. Sollten andere Behörden diese Information benötigen, wie z.B. die Meldeadresse einer Person, können sie diese über die Datenaustausch-Plattform X-Road anfragen. Neben der Interoperabilität sorgt X-Road auch für die Sicherheit und Integrität der Daten – denn alle ausgehenden Daten werden digital signiert und verschlüsselt. Wenn Daten eingehen, werden diese authentifiziert und protokolliert.

Estlands Systemarchitektur ist dezentral aufgebaut. Um die Datenintegrität zu gewährleisten, wird zum Teil auch Blockchain-Technologie eingesetzt. Die Daten werden hierbei nicht in der Blockchain gespeichert, sondern lediglich von dieser authentifiziert. So wird eine unbemerkte Manipulation von außen und innen ausgeschlossen. Außerdem ist Estland das erste Land mit einer Datenbotschaft. Hiermit ist ein Datenzentrum gemeint, das in einem anderen Staat liegt und als Backup für die wichtigsten Informationen fungiert.

Für die Sicherheit ihres Online-Wahlsystems vertraut die estnische Regierung auf White-Hat Hacker und stellt den Code öffentlich zur Verfügung. Außerdem ist bereits für ca. 50 Services künstliche Intelligenz im Einsatz.

Fazit

Estland hat das geschafft, wovon viele Länder träumen: Einen digitalen Staat zu schaffen, der ohne viel Bürokratie auskommt und gleichzeitig Sicherheit garantiert. In Deutschland sind wir hiervon noch weit entfernt, denn eine digitale Identität steht gerade erst in den Startlöchern – darüber haben wir in diesem Artikel ausführlich berichtet. Doch Estland ruht sich nicht auf seinem Spitzenplatz aus, sondern entwickelt fleißig neue Services weiter. In den nächsten Jahren ist vor allem der Ausbau proaktiver Dienste geplant – der Staat soll auf den Bürger zukommen und ihm Leistungen proaktiv anbieten statt andersherum. Wir können also gespannt sein, was Estland in Zukunft noch auf die Beine stellt.

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Ich bin Julia Seifert aus dem HCD Vertriebsteam. Ich berate Sie gerne oder helfe Ihnen bei Fragen weiter. Sie erreichen mich telefonisch unter +49 89 215 36 92-0 oder per Kontaktformular.

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